Landgericht Stuttgart weist Zahlungsklage der Musikindustrie gegen die Inhaber eines privaten Internetanschlusses ab…
Im vorliegenden Fall begehrten die Klägerinnen – 4 große Tonträgerhersteller – von privaten Inhabern eines Internetanschlusses Aufwendungs- und Schadensersatz in Höhe von 5.380,80 € nebst Zinsen wegen des unerlaubten Anbietens von zehn Musikkdateien in einer Internet-Tauschbörse. Der Ermittlungsdienstleister der Tonträgerhersteller – die proMedia GmbH aus Hamburg – hatte Verletzungen über den Internetanschluss der Anschlussinhaber zu verschiedenen Zeiten festgestellt, woraufhin die Tonträgerhersteller Strafanzeige gegen unbekannt erstatteten. Daraufhin führte die Staatsanwaltschaft eine Hausdurchsuchung bei den Inhabern des Internetanschlusses durch.
Die Kriminalpolizei stellte bei der Überprüfung fest, dass sich in der Wohnung der späteren Beklagten lediglich ein PC befand, der von allen vier Familienmitgliedern genutzt wurde. Desweiteren wurde festgestellt, dass auf dem Rechner kein Filesharing-Programm installiert war. Auch konnten keine verdächtigen Musikdateien auf dem Rechner festgestellt werden. Die Kriminalpolizei vermochte daher nicht zu ermitteln, wer zu den festgestellten Zeitpunkten die Musikdateien im Internet zum Download angeboten hatte.
Nach Einsicht in die Ermittlungsakten der Staatsanwaltschaft mahnte die Kanzlei Rasch im Auftrag der 4 Tonträgerhersteller die späteren Beklagten ab und forderten sie unter Fristsetzung auf, eine strafbewehrte Unterlassungserklärung abzugeben und vergleichsweise 3.500,00 € zur Abgeltung sämtlicher Ersatzansprüche zu bezahlen. Die späteren Beklagten gaben daraufhin zwar eine modifizierte strafbewehrte Unterlassungserklärung ab, verweigerten im Übrigen jedoch jegliche Zahlungen, woraufhin die 4 Tonträgerhersteller die Anschlussinhaber auf Zahlung von 5.380,80 € nebst Zinsen verklagten.
Das Landgericht Stuttgart wies die Klage schließlich ab, weil die Kammer von der Verantwortlichkeit der Beklagten für die streitgegenständlichen Rechtsverletzungen aufgrund der negativen Ermittlungsergebnisse der Staatsanwaltschaft nicht überzeugt war. Somit sei die prinzipiell bestehende Vermutung der Rechtsverletzungen über den Internetanschluss der Beklagten entkräftet.
Aus den Gründen des Urteils:
Den Kl. steht kein Schadensersatzanspruch gem. §§ 97 Abs. 1, 19a UrhG gegen die Bekl. zu, da nicht festgestellt werden kann, dass die Bekl. – sei es als Täter oder als Störer – für die Rechtsverletzungen verantwortlich sind.
1. Wird ein geschütztes Werk der Öffentlichkeit von einer IP-Adresse aus zugänglich gemacht, die zum fraglichen Zeitpunkt einer bestimmten Person zugeteilt ist, so spricht eine tatsächliche Vermutung dafür, dass diese Person für die Rechtsverletzung verantwortlich ist. Daraus ergibt sich eine sekundäre Darlegungslast des Anschlussinhabers, der geltend macht, eine andere Person habe die Rechtsverletzung begangen (BGH,GRUR 2010, 633 – Sommer unseres Lebens).
2. Die Klägerinnen haben Ausdrucke der im Rahmen der Ermittlungen erstellten Screenshots mit Ansichten der Filesharing-Software „bearShare“, einen Ausdruck der Protokolldatei „SystemLog.txt“ sowie Ausdrucke zweier „Screenshots“ mit Datenauszügen der Datei „Capturefile.cap“, die die Protokollierung des Datenverkehrs enthält, der im Rahmen der seitens der p…M… GmbH durchgeführten Downloads erfolgte, vorgelegt. Diesen Screenshots lässt sich entnehmen, welche Audio-Dateien im Einzelnen von der angegebenen IP-Adresse aus für den Abruf durch andere Teilnehmer des Filesharing-Systems verfügbar gemacht wurden. Weiter wurden dort die einzelnen Ermittlungsschritte mit den zugehörigen Seiten protokolliert, so dass sich daraus ergibt, wann der erste Downloadvorgang begonnen und der letzte Downloadvorgang abgeschlossen wurde. Aus der Auskunft der D… T… AG vom 06.12.2006 ergibt sich, dass die fragliche IP-Adresse am 18.09.2006 den Beklagten zugeordnet war.
Die Auskunft der Telekom belegt, dass die festgestellte IP-Adresse am 18.09.2006 um 19:54:23 Uhr (MESZ) den Bekl. zugeordnet war, allerdings begann der streitgegenständliche Vorgang erst um 19:54:25 Uhr (MESZ). Unter Berücksichtigung von Ermittlungsungenauigkeiten könnte dieser minimale Zeitunterschied bereits eine Rolle spielen – es ist denkbar, dass ab 19:54:25 Uhr (MESZ) die IP-Adresse bereits einem anderen Nutzer zugeordnet war. Außerdem belastet die Bekl., dass bei weiteren vier Ermittlungsvorgängen ebenfalls eine IP- Nummer festgestellt wurde, die während des Tatvorgangs ihnen zugeordnet war. Vor diesem Hintergrund besteht eine tatsächliche Vermutung dafür, dass die Rechtsverletzung von den Bekl. ausging.
3. Die Bekl. sind ihrer sekundären Darlegungslast nachgekommen, indem sie geltend gemacht haben, mit den Rechtsverletzungen nichts zu tun zu haben, auf ihrem PC befinde sich kein Filesharing-Proqramm und sie besäßen auch die angeblich zum Download bereit gestellten Audiodateien nicht. Darüber hinaus sei ihr WLAN-Router ausreichend gesichert. Diese Behauptungen der Bekl. werden gestützt durch die Feststellungen der Kriminalpolizei. Tatsächlich überprüfte die Kripo den PC der Bekl. zu einem Zeitpunkt, als diese von den im Auftrag der Klägerinnen durchgeführten Ermittlungen noch keine Kenntnis erlangt haben konnten. Anlässlich der Vernehmung vom 04.07.2007 der Bekl. in ihrer Wohnung gestatteten diese der Polizei bereitwillig die Überprüfung ihres PC, ohne dass diese fündig geworden ist. Soweit aus den Akten ersichtlich waren die Bekl. zum Zeitpunkt dieser Vernehmung in keiner Weise vorgewarnt, da die Klägerinnen sich erstmals durch die Abmahnung der Klägervertreter vom 17.07.2008 – also etwa ein Jahr später – an sie wandten. Der Besuch der Kripo war für sie daher überraschend, sie hatten damals keinen Anlass, ein etwa verwendetes Filesharing-Programm und die gespeicherten Audiodateien zu löschen.
4. Generell entstehen einer Partei erhebliche Beweisprobleme, wenn sie Umstände beweisen muss, die zu dem ihren Blicken entzogenen Bereich des Prozessgegners gehören. Gleichwohl verbietet sich eine prozessuale Aufklärungspflicht der nicht beweisbelasteten Partei, da generell keine Partei verpflichtet ist, dem Gegner die für den Prozesssieg benötigten Informationen zu verschaffen. Mehr als eine Modifizierung der Darlegungslast – wie sie der BGH für den Anschlussinhaber vorsieht – verbietet sich, da andernfalls der Grundrechtsschutz des Prozessgegners über Gebühr beeinträchtigt wird (Greger in Zöller ZPO 28. Aufl., Vor § 284 Rn. 17, 34).
Die Beklagten haben sich vorliegend nicht darauf beschränkt, die Rechtsverletzung zu bestreiten, sie haben vielmehr zu den Vorwürfen substantiiert Stellung genommen und außerdem – ohne dazu verpflichtet zu sein – eine überraschende Nachschau durch den Polizeibeamten ermöglicht. Dieses Verhalten spricht dafür, dass die Bekl. nichts zu verbergen hatten und durch ihr Verhalten gerade zur Aufklärung beitragen wollten um sich zu entlasten und ihrerseits zu „beweisen“, dass die im Raum stehenden Vorwürfe unberechtigt sind.
Zwar ist der Umstand, dass der Anschluss der Beklagten mehrfach im Zusammenhang mit Rechtsverletzungen ermittelt wurde, ein weiteres, erhebliches Indiz dafür, dass die Behauptung der Klägerinnen zutreffend ist, andererseits haben die Bekl. durch den negativen Befund auf ihrem Rechner die Vermutung der Rechtsverletzung entkräftet. Es verbleibt daher bei der Beweislast der Klägerinnen für die Behauptung, dass die Beklagten die streitgegenständlichen Rechtsverletzungen begangen haben. Der Beweis hierfür lässt sich weder durch eine Vernehmung der mit der Ermittlung seinerzeit befassten Zeugen und auch nicht durch ein Sachverständigengutachten zur Richtigkeit und zur Aussagekraft dieser Ermittlungsergebnisse erbringen, da durch diese Beweismittel nicht festgestellt werden kann, ob die Auskunft der Telekom vom 06.12.2006 zutreffend war. Solange nicht bewiesen ist, dass die fragliche IP-Adresse während des gesamten festgestellten Downloadvorgangs den Beklagten zugeordnet war, der hier immerhin ca. 7 1/2 Minuten dauerte, steht die Verantwortlichkeit der Beklagten nicht fest.
Die Klage war daher bezüglich der aus der behaupteten Rechtsverletzung resultierenden Schadensersatzansprüche bereits aus diesem Grunde abzuweisen.
Fazit: Ein weiterer Fall in dem die vorgelegten Ermittlungsergebnisse offensichtlich fehlerhaft waren. In letzter Zeit häufen sich nach unserem Eindruck die Fälle, in denen unbescholtene Inhaber von Internetanschlüssen zu Unrecht wegen angeblicher Filesharingaktivitäten abgemahnt werden. Leider hat nicht jeder zu Unrecht Abgemahnte das „Glück“, dass Ermittlungsbehörden unangekündigt eine Hausdurchsuchung vornehmen, um so die wohl immer noch prinzipiell bestehende „Vermutung der Rechtsverletzung“ entkräften zu können.
Unserer Ansicht nach dürfte die „Vermutung“ derzeit aus folgenden Gründen nicht mehr bestehen: Zum einen sind Fälle bekannt geworden, in denen die Ermittlungsergebnisse fehlerhaft waren (vgl. z.B. hier). Zum anderen werden immer mehr Berichte veröffentlicht, die aufzeigen, wie einfach es für unbekannte Dritte ist, selbst einen mittels WPA / WPA2 verschlüsselten W-LAN-Router zu knacken bzw. zu kapern und somit für illegale Filesharingaktivitäten zu missbrauchen (vgl. z.B. Bericht in der CHIP – Ausgabe 10/2010). Zudem wurde jüngst über unzureichende Verschlüsselsungstechniken von W-LAN Routern der großen Deutschen Provider T-Online, Vodafone und 1und1 (siehe hier, hier und hier) berichtet. Die Fehlerquellen in den Ermittlungen bzw. die Missbrauchsmöglichkeiten durch unbekannte Dritte sind daher nicht nur theoretischer Natur, sondern durchaus tatsächlich vorhanden. Eine Vermutung dahingehend, dass die vorgelegten Ermittlungsergebnisse zutreffen und der Anschlussinhaber die Rechtsverletzung letztlich zu verantworten hat, sofern er nicht das Gegenteil darlegen kann, ist daher bereits aus diesem Grunde abwegig.
Um weitere Kollateralschäden zu vermeiden, wird es unserer Ansicht nach daher höchste Zeit, dass sich der Gesetzgeber intensiver mit dem Problem des Filesharing auseinandersetzt und eine befriedigende gesetzliche Lösung für das Problem findet. Bis dahin werden die Gerichte vermutlich den vorgelegten Ermittlungsergebnissen der privaten Ermittlungsdienstleister noch blindlings vertrauen und weiterhin vermuten, dass die ermittelten Rechtsverletzungen auch von den Anschlussinhabern begangen wurden oder dass diese ihre Überwachungspflichten hinsichtlich ihres Internetanschlusses verletzt haben.
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