Wenn eine Parodie eine diskriminierende Aussage vermittelt, kann der Inhaber der Rechte an dem parodierten Werk verlangen, dass sein Werk nicht mit dieser Aussage in Verbindung gebracht wird…
Die wesentlichen und einzigen Merkmale einer Parodie bestehen darin, zum einen an ein bestehendes Werk zu erinnern, von dem sie sich wahrnehmbar unterscheiden muss, und zum anderen einen Ausdruck von Humor oder eine Verspottung darzustellen.
Die Richtlinie über das Urheberrecht sieht vor, dass Urheber das ausschließliche Recht haben, die Vervielfältigung und die öffentliche Wiedergabe ihrer Werke zu erlauben. Die Mitgliedstaaten können es jedoch erlauben, dass ein Werk ohne die Zustimmung seines Urhebers zum Zwecke von Karikaturen, Parodien oder Pastiches genutzt wird.
Herr Deckmyn, Mitglied des Vlaamse Belang (einer flämischen politischen Partei), verteilte auf einem Neujahrsempfang der Stadt Gent Kalender für das Jahr 2011. Auf der Vorderseite dieser Kalender war eine Zeichnung abgebildet, die einer Zeichnung auf dem Deckblatt des 1961 von Willy Vandersteen geschaffenen Comichefts Suske en Wiske mit dem Titel „De Wilde Weldoener“ (Der wilde Wohltäter), dessen französische Fassung den Titel „La tombe hindoue“ trägt, ähnelte. Die Originalzeichnung zeigte eine Symbolfigur der Comicreihe, mit einer weißen Tunika bekleidet und umgeben von Personen, die versuchten, Münzen aufzusammeln, die sie um sich warf. In der Zeichnung auf den Kalendern von Herrn Deckmyn wurde diese Figur durch den Bürgermeister der Stadt Gent ersetzt, während die die Münzen aufsammelnden Personen verschleiert und farbiger Hautfarbe waren.
Da mehrere Erben von Herrn Vandersteen und andere Inhaber von Rechten an dieser Comicreihe der Ansicht waren, dass diese Zeichnung und ihre öffentliche Wiedergabe ihre Urheberrechte verletzten, erhoben sie Klage gegen Herrn Deckmyn und den Vrijheidsfonds (einer Organisation, die den Vlaams Belang finanziert). Vor den belgischen Gerichten machen Herr Deckmyn und der Vrijheidsfonds geltend, dass die in Rede stehende Zeichnung eine politische Karikatur und folglich eine Parodie darstelle, so dass die von der Richtlinie für diese Art von Werken geschaffene Ausnahmeregelung anzuwenden sei. Die Erben von Herrn Vandersteen und die anderen Rechteinhaber sind dagegen der Ansicht, dass eine Parodie selbst von Ursprünglichkeit zeugen müsse, was vorliegend offenkundig nicht der Fall sei. Sie werfen der in Rede stehenden Zeichnung auch vor, eine diskriminierende Aussage zu vermitteln.
Der mit dem Rechtsmittel befasste Hof van beroep te Brussel (Rechtsmittelgericht Brüssel) bittet den Gerichtshof, die Voraussetzungen zu präzisieren, die ein Werk erfüllen muss, um als Parodie eingestuft werden zu können.
In seinem heutigen Urteil weist der Gerichtshof erstens darauf hin, dass der Begriff der Parodie entsprechend seinem Sinn nach dem gewöhnlichen Sprachgebrauch zu bestimmen ist, wobei zu berücksichtigen ist, in welchem Zusammenhang er verwendet wird und welche Ziele mit der Richtlinie verfolgt werden. Hierzu führt der Gerichtshof aus, dass nach dem gewöhnlichen Sprachgebrauch die wesentlichen Merkmale der Parodie darin bestehen, zum einen an ein bestehendes Werk zu erinnern, von dem sie sich wahrnehmbar unterscheiden muss, und zum anderen einen Ausdruck von Humor oder eine Verspottung darzustellen.
Hingegen muss eine Parodie keinen anderen eigenen ursprünglichen Charakter haben als den, gegenüber dem parodierten ursprünglichen Werk wahrnehmbare Unterschiede aufzuweisen. Auch ist weder erforderlich, dass sie einer anderen Person als dem Urheber des ursprünglichen Werkes zugeschrieben werden kann, noch dass sie das ursprüngliche Werk selbst betrifft oder das parodierte Werk angibt.
Zweitens betont der Gerichtshof, dass bei der Anwendung der durch die Richtlinie geschaffenen Ausnahme für Parodien ein angemessener Ausgleich zwischen den Interessen und Rechten der Urheber und anderen Rechteinhaber auf der einen und der freien Meinungsäußerung der Person, die sich auf diese Ausnahme berufen möchte, auf der anderen Seite gewahrt werden muss. In diesem Zusammenhang stellt der Gerichtshof fest, dass, wenn eine Parodie eine diskriminierende Aussage vermittelt (z. B. indem Figuren ohne besondere Merkmale durch verschleierte und farbige Personen ersetzt werden), die Inhaber der Rechte an dem parodierten Werk grundsätzlich ein berechtigtes Interesse daran haben, dass ihr Werk nicht mit dieser Aussage in Verbindung gebracht wird.
Es ist Aufgabe des belgischen Gerichts, unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände des Einzelfalls zu beurteilen, ob bei der Anwendung der Ausnahme für Parodien der angemessene Ausgleich zwischen den unterschiedlichen Interessen der Betroffenen gewahrt wird.
HINWEIS: Im Wege eines Vorabentscheidungsersuchens können die Gerichte der Mitgliedstaaten in einem bei ihnen anhängigen Rechtsstreit dem Gerichtshof Fragen nach der Auslegung des Unionsrechts oder nach der Gültigkeit einer Handlung der Union vorlegen. Der Gerichtshof entscheidet nicht über den nationalen Rechtsstreit. Es ist Sache des nationalen Gerichts, über die Rechtssache im Einklang mit der Entscheidung des Gerichtshofs zu entscheiden. Diese Entscheidung des Gerichtshofs bindet in gleicher Weise andere nationale Gerichte, die mit einem ähnlichen Problem befasst werden.
Urteil in der Rechtssache C-201/13
Johan Deckmyn und Vrijheidsfonds VZW / Helena Vandersteen u. a.
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