OLG Karlsruhe: Werbung für "Ökostrom" ist zulässig…
Die Parteien sind Wettbewerber auf dem Gebiet des Vertriebs von elektrischer Energie an private Haushalte. Die Beklagte versandte im Mai 2008 einen Werbebrief, der auch an Haushalte in Baden adressiert war:
„Sehr geehrter Herr …,
am 1. Juli 2008 ist es soweit: E. erhöht den Preis für den Grundversorgungstarif „K.“! Zeit für einen Wechsel, denn es geht auch anders – mit … Ökostrom. Wir ersparen allen E. K. Kunden die Preiserhöhung, wenn Sie bis zum 30. Juni 2008 zu … Ökostrom wechseln. … Sie ersparen sich nicht nur die Preiserhöhung, sondern wir belohnen Ihren Wechsel mit einem attraktiven Dankeschön und bieten Ihnen eine sichere Versorgung mit 100 % Ökostrom…“
Die Klägerin hat die Beklagte erfolglos abgemahnt. Sie hat vor dem Landgericht Baden-Baden im Wege der einstweiligen Verfügung geltend gemacht, die Beklagte verstoße gegen wettbewerbsrechtliche Bestimmungen, unter anderem seien die mehrfachen Hinweise der Beklagten, der Kunde erhalte eine „sichere Versorgung mit Ökostrom“ und beziehe „zu 100 % umweltfreundlichen Strom“ irreführend. Solche Werbeaussagen erweckten beim Verbraucher den Eindruck, dass es sich bei dem Strom, den er „aus der Steckdose“ erhalte, im Falle eines Wechsels zur Beklagten tatsächlich um Strom handele, der weder Atomstrom sei, noch Strom, der aus der Verbrennung fossiler Energieträger gewonnen werde. Tatsächlich verhalte es sich unstreitig so, dass der Kunde bei einem Wechsel in den beworbenen Tarif der Beklagten wie bisher elektrische Energie aus dem Netz beziehe und damit Strom, der aus einem Mix verschiedener Energieträger gewonnen werde.
Das Landgericht hat der Beklagten im Wege der einstweiligen Verfügung verboten, im geschäftlichen Verkehr zu Wettbewerbszwecken für den Abschluss eines Stromlieferungsvertrags sinngemäß oder wörtlich mit den Aussagen „… und bieten Ihnen eine sichere Versorgung mit 100 % Ökostrom“ und/oder „dass Sie mit …Ökostrom zu 100 % umweltfreundlichen Strom beziehen“ zu werben.
Die Berufung der Beklagten zum 6. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Karlsruhe – Fachsenat für Wettbewerbsrecht – war erfolgreich. Das Oberlandesgericht hat das Urteil des Landgerichts abgeändert und den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückgewiesen.
Die mit der Klage geltend gemachten wettbewerbsrechtlichen Ansprüche stehen der Klägerin nicht zu. Die Klägerin weist zwar zu Recht darauf hin, dass die angegriffenen Aussagen zum Ökostrom bei wörtlichem Verständnis der wahren Sachlage nicht gerecht werden. Der einzelne Abnehmer bezieht auch nach seinem Wechsel vom bisherigen Anbieter zur Beklagten den Strom aus dem Netz. In das Netz wird Strom unterschiedlicher Herkunft eingespeist, das heißt Strom, der aus fossilen Energieträgern und aus Kernkraft gewonnen wird ebenso wie Strom aus sogenannten erneuerbaren Energien wie Wasser, Windkraft, Photovoltaik usw., also Strom, der in der Werbung der Beklagten unter dem Begriff „Ökostrom“ zusammengefasst wird. Der bloße Wechsel des Anbieters ändert nichts an der Tatsache, dass der Endabnehmer Strom bezieht, der aus einem Energiemix gewonnen wird. Stromversorger wie die Beklagte, die Ökostrom anbieten, verpflichten sich jedoch, in dem Umfang, in dem ihre Kunden Strom abnehmen, Strom in das Netz einzuspeisen, der aus erneuerbaren Energien gewonnen wird. Der Wechsel von einem herkömmlichen Versorger zu einem Versorger, der Ökostrom anbietet, führt dazu, dass der entsprechende Versorger zur Erfüllung seiner Verpflichtung Strom aus erneuerbaren Energien nachfragt. Das kann bei funktionierendem Markt bewirken, dass Anbieter von Strom aus erneuerbaren Energien unterstützt werden.
Der Senat ist der Auffassung, dass der durchschnittlich informierte, verständige und situationsadäquat aufmerksame Verbraucher die angegriffenen Werbeaussagen der Beklagten nicht wörtlich versteht und deshalb nicht irregeführt wird. Die Adressaten einer solchen Werbung für Ökostrom sind heute infolge der ausführlichen Berichterstattung über die Liberalisierung des Strommarktes und die damit verbundene Möglichkeit des Stromversorgers einerseits, über den Klimawandel und die damit einhergehende Diskussion über die verschiedenen Energiequellen andererseits im groben Zügen über die maßgeblichen Zusammenhänge informiert. Wer sich mit der Werbung von Stromanbietern befasst, erkennt ohne weiteres, dass ein solcher Wechsel von seiner Seite aus nicht mehr erfordert als eine entsprechende Kündigungserklärung gegenüber dem bisherigen Anbieter und die Unterschrift unter den Vertrag mit dem neuen Anbieter. Der Verbraucher, der wegen der hohen Stromkosten und der Notwendigkeit einer zuverlässigen Stromversorgung solchen Werbeschreiben erhöhte Aufmerksamkeit widmet, entnimmt der Werbung, dass ein Wechsel des Stromversorgers nicht mit weiteren Maßnahmen wie der Verlegung von Kabeln, der Änderung des Haus- oder Wohnungsanschlusses, der Anschaffung und Installation von Geräten oder dergleichen verbunden ist. Es liegt für den verständigen Verbraucher auf der Hand, dass er auch nach einem Wechsel des Versorgers den Strom wie bisher aus dem ohnehin vorhandenen Netz bezieht. Unter diesen Umständen erscheint es ausgeschlossen, dass mehr als ein nur ganz geringer Teil der angesprochenen Verkehrskreise bei der Beschäftigung mit der „Ökostrom“-Werbung ernsthaft zu der Ansicht gelangt, die Beklagte sorge dafür, dass die von ihm dem Netz entnommene Energie unmittelbar aus einer erneuerbaren Energiequelle gewonnen wird. Eine Irreführung, die einen Anspruch nach §§ 8, 3, 5 UWG rechtfertigen könnten, wäre nur dann anzunehmen, wenn mindestens 1/4 der angesprochenen Verkehrskreise die angegriffene Werbung so verstünde, wie sie nach Auffassung der Klägerin verstanden wird. Anhaltspunkte dafür, dass es sich so verhalten könnte, hat die Klägerin nicht dargetan, sie sind unter den gegebenen Umständen auch sonst nicht ersichtlich.
Selbst wenn man annehmen wollte, ein nicht ganz unerheblicher Teil der angesprochenen Verkehrskreise unterliege der falschen Vorstellung, bei einem Wechsel zur Beklagten stamme der jeweils entnommene Strom vollständig aus erneuerbaren Energiequellen, fehlt es an der wettbewerbsrechtlichen Relevanz einer solchen Irreführung. Auch Verbraucher mit einer solchen Fehlvorstellung träfen eine Entscheidung nicht anders, wenn sie sachlich zutreffend über die technisch-physikalischen Zusammenhänge aufgeklärt würden. Aus der Sicht des Verbrauchers, der sich für „Ökostrom“ entscheidet, ist maßgeblich, dass er einen Beitrag dazu leisten möchte, die Gewinnung von Energie aus erneuerbaren Energiequellen zu fördern und eine Abkehr von der Stromgewinnung aus fossilen Energiequellen oder Kernenergie zu unterstützen. In dieser Erwartung wird er aber nicht enttäuscht, weil die Beklagte verpflichtet ist, im Umfang der Abnahme ihrer Kunden Strom, der aus erneuerbaren Energiequellen gewonnen wurde, in das Netz einzuspeisen.
Die Revision ist nicht zulässig.
Oberlandesgericht Karlsruhe, Urteil vom 10.12.2008
– 6 U 140/08 –
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